Samstag, 20. Oktober 2012

Laufen lernen - Tag 8


Der Tag ist noch jung als wir unsere Rucksäcke schultern. Für Linda ist es der letzte Wandertag, denn von unserem Tagesziel, Bilbao, aus fliegt sie zurück nach Düsseldorf. Ein Sonnenaufgang steht noch auf der Wunschliste. Catalina ist schon früh auf und verabschiedet uns herzlich mit den besten Wünschen. Frühstück gibt es nach den ersten Kilometern, auf dem letzten Anstieg vor Bilbao
Schneller als gedacht kommen wir dort an, rechtzeitig, um am Gottesdienst um 10.30 Uhr in der Catedral de Santiago teilzunehmen. Ein wenig befremdlich. Kein Gesang. Gebete, die mir bekannt vorkommen. Allerdings ist es lange her, dass ich in den Gottesdienst gegangen bin. Nach der Erstkommunion verlor sich mein Interesse in anderen Dingen. Kirchen an sich sind wunderbare Orte. Stille, Erhabenheit, angenehme Kühle. Ich bin anwesend, doch nehme nicht wirklich teil. Ich genieße das kirchliche Gemurmel, die Gewissheit der Gläubigen und werde ruhiger. Sitze. Meine Fußsohlen stöhnen bei jedem Sicherheben und schreien nach Entlastung. Noch immer hat sich weder Körper noch Kopf mit dem Pilgern angefreundet. Vielleicht doch den Bus zurück nach San Sebastián nehmen? Oder zumindest morgen zur nächsten Herberge?

Die Altstadt ist nett anzusehen: enge Fassaden in unterschiedlichen Brauntönen, kleine vergitterter Balkone, Fensterläden, schmale Gässchen. Die Hitzewelle hat sich die letzten Tage über angebahnt und bricht sich nun direkt über der Großstadt. Auf über 40 Grad klettert das Thermometer. Heute gönnen wir uns ein Hotelzimmer, das können wir erst um 14 Uhr beziehen, solange müssen wir uns noch draußen aufhalten. Ein kurzer Blick aufs Guggenheim-Museum, auf die außergewöhnlichen Brückenkonstruktionen, die sich aufgrund des fehlenden Windes keinen Millimeter bewegen.

Auf dem Rückweg fällt unserer Blick auf ein Schild ins Auge: churros con chocolate. Wir werden uns unserem Hunger bewusst, tatsächlich haben wir seit dem Frühstück nichts mehr zu uns genommen. Wir wissen ganz genau, dass dies unser Café ist. An der Bar nehmen wir Platz und nach ein wenig angekündigter Wartezeit dampfen die frisch frittierten Brandteigkringel an und machen es sich in der dazu gereichten dickflüssigen heißen Schokolade gemütlich. Unsere Gemüter erhellen sich schlagartig. Als der Kellner uns dann noch erzählt, dass er ein wenig Deutsch gelernt hat, auf Mallorca, geht uns das Herz auf. Auch wenn uns eigentlich gar nicht nach Großstadtgefühl ist, zeigt sich Bilbao von einer angenehmen Seite.

Später, nach einer siesta, werfe ich zunächst Ballast ab, Linda nimmt einiges an überflüssigem Gepäck von mir mit zurück nach Deutschland, dann werfen wir noch einen zweiten Blick auf die Stadt. Ich glaube mich im Wandlungsprozess zu befinden, ich fühle mich weder als Touristin noch bereits als Pilgerin. Irgendwo dazwischen.

Lindas zweiter Wunsch: chipirones en su tinta (Calamaretti in eigener Tinte). Wir begeben uns auf die Suche, die wahrscheinlich nie enden wird. Wir suchen und suchen, finden aber nichts, bis auf Bill und Gavin, die am Brunnen nahe der Kathedrale herumhängen. Auf der Plaza Nueva entdecken wir die Bar Charly, die zumindest paella negra serviert. Als wir um 19 Uhr bereits zu Abend essen wollen, schaut uns der Kellner mit großen Augen an. Wir lassen uns nicht beirren und bestellen. Pulpo a la gallega und eben die schwarze Paella, die es als einzige natürlich nicht mehr gibt. Dann eben die mit Meeresfrüchten für señoritas. Wir träumen vom Meer mit dem Geschmack nach selbigem im Mund und spülen ein wenig Bier hinterher.

Gabriel stößt noch zu uns, um sich von Linda zu verabschieden. Mittlerweile ist es dunkel und die Terrassen der Restaurants sind gut gefüllt. Ich verabrede mich mit Gabriel, um morgen früh gemeinsam zu laufen. Der Kellner hat uns beiden blonden Deutschen irgendwie gefressen, als es doch mehr als die von ihm überschlagene Summe von 50 Euro sind, lädt er uns noch auf einen Txakoli ein, einen baskischen Weißwein. Wir flanieren noch ein bisschen durch die warm beleuchtete Altstadt, doch als wir unserem Viertel näher kommen, wird es dunkler und dunkler, wie auch die Gestalten, die sich um uns herum befinden. Unwohlsein breitet sich aus, die Schritte werden schneller und bestimmter. Im Hotel angekommen, bricht das große Zittern aus. Und dann: ein Zimmer und außer mir und Linda niemand sonst darin. Was für eine ruhige Nacht.

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