„Kaixo“ (baskisch für „hallo“) sagt dieser Morgen auf eine
besonders nette Art und Weise. Ein ausgiebiges Frühstück und in Begleitung von
Ion bis zur Pilgerherberge, um mir dort meine zweiten Stempel zu erbetteln. Was
hatte ich für Glück, knapp 60 Betten stehen dort in einem Raum. Und die mir
begegnenden Gesichter sehen recht zerknirscht drein. Mich haben nur die Mücken
und die schwere Schwüle des Nachts erdrückt.
Noch halb im Dunkeln und bei Nieselregen steht mir der erste
Anstieg bevor. Ein Fuß vor den anderen setzen, das sagt sich so leicht, wenn
die sich jedoch anfühlen als hätten sie Betonschuhe an, dann sieht das ganze
Unterfangen anders aus. Die Wolken hängen tief in den sattgrünen Bergen,
inmitten derer ich heute nicht nur einmal kurz davor sein werde, Schluss zu
machen. Einfach umdrehen und einen Monat in San Sebastián verbringen. Irgendeinen
Job würde ich bestimmt finden. Unterkunft hätte ich zumindest. Nur wenn sich
der Blick gen Meer wieder und wieder auftut, kommt das Glück zurück. Der erste
Rückblick auf den Leuchtturm von San Sebastián und die Steilklippen unter mir
vermitteln meinem Kopf, geh weiter, doch meine Beine fühlen sich um hundert
Jahre gealtert. Aus der schwülen morgenfrühen feuchte wird feiner Nieselregen,
der den Rucksack und meine Wenigkeit mit einer feinen Schicht überzieht. Das
nur selten unterbrochene Blätterdach schützt. Ich scheine, alleine unterwegs zu
sein. Niemand da. Doch. Erst hinter mir. Dann überholt sie mich. An der Ermita
de San Martín sitzt sie rauchend unter dem Vordach der kleinen Kapelle. Montse,
kurz für Montserrat, aus Mallorca. Nach gemeinsamer Pause gehen wir getrennt
weiter. Weinberge und Straßen begleiten mich, sowie der Regen.
Dem als
idyllisch verschrienen Fischerdörfchen Orio kann ich nichts abgewinnen, unter
dem grauen Regenschleier versteckt sich wohl auch die schönste seiner Seiten.
Stattdessen versuche ich nicht auszurutschen auf dem abschüssigen Kopfsteinpflaster.
Straße. Sehr viel Straße. Und das am Hafen entlang. Wenn man lang genug hinab
starrt auf die glitschigen Felsen im Hafenbecken beginnen sie sich zu bewegen.
Kleine Krebse tummeln sich und bemerken meine Anwesenheit. Ganz langsam klart
der Himmel auf, doch die Schwüle verschwindet nicht mit der Sonne.
Die mir
sonst den Weg weisenden gelben Pfeile verwirren mich und auch aus meinem
spanischsprachigen Reiseführer werde ich nicht schlau. Am Campingplatz biege
ich falsch ab, ende an einer winzigen, bewuchterten Kapelle. Pause. Und dann
weiter. Zurück. Immer weiter. Ein älteres Ehepaar sammelt Schnecken von den
Hecken. Endlich, da ist es wieder: das Meer. Die Bucht von Zarautz erstreckt
sich unter meinen Füßen. Bis zur nächsten Bank. Pause. Neben mir Pilger: ein
älterer Herr und eine junge Frau. Mal sehen, wie weit es tatsächlich noch ist.
Die heutigen 21 Kilometer erscheinen mir wie 50. Ich will nicht mehr. Hinein
ins Städtchen.
Es ist erst kurz nach zwölf als ich an der Herberge ankomme.
Eine spanische Altherrentruppe ist bereits dort und wartet auf Einlass. Und
auch Víctor aus Barcelona. Die Herberge wird allerdings erst um 16 Uhr
geöffnet. Bis dahin verbringen wir die Zeit im geräumigen Garten, können
bereits duschen und Wäsche waschen. Langsam mehren sich die Pilger. Eva und ihr
Vater kommen an. Vera und Álvaro sind die heutige Strecke gemeinsam gelaufen.
Víctor liegt in der Sonne.
Dann heißt es Aufstellung einnehmen. Der
Herbergsvater erklärt die Regeln des Hauses. In Zweiergrüppchen werden wir
hinein gebeten, der Platz reicht gerade so für alle. Mein Bett gesichert, mit
Nahrung aus dem Supermärktchen ums Eck versorgt, spaziere ich zum von Touristen
erstickten Strand. Ein paar Quadratzentimeter sind noch frei. Kurzerhand laufe
ich ins Wasser. Doch die Wellen imponieren mir zu sehr. Die Kraft des Wassers
schmeißt mich um, wieder und wieder. Den Bikini voller Strandsand kehre ich
zurück und sehe der Wäsche im Herbergsgarten beim Trocknen zu. Álvaro ist über
seinem iPad eingenickt, auf dem er Fotos von seinem Kolumbienbesuch hat. Nach
mehr als 50 Jahren in den USA war er dieses Jahr zum ersten Mal wieder in
seiner Heimatstadt, Bogotá, und hat sich sehr über all die Veränderung
gewundert. Touristische Fotos vom Goldmuseum zeigen, dass er dort wohl nicht
mehr heimisch wird.
Der Abend taucht das Touristenstädtchen in güldenes Licht.
Das Flirren des Meereswassers in der Luft. Die lautstarken Menschenmassen sind
verschwunden und die Wellen gehören alleinig den Surfern und Paddlern. Hier
kann ich wieder laufen. Die baren Füße versinken im Sand, das salzige Wasser
umspült sie kühl. Bevor die Herberge, wie alle anderen auch, ihre Pforten um 22
Uhr schließt, schreibe ich ein bisschen am Strand und genieße die gefühlte
Einsamkeit. Besser als jede Gute-Nacht-Geschichte ist das Rauschen der
meterhohen Wellen, mit denen die Anstrengungen des Tages fortgespült werden.
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