Noch ist es dunkel. Die Straßenlichter spiegeln sich in den
tanzenden Pfützen wider, der Tag nieselt sich langsam ein. Vera und Montse
treffe ich beim Bäcker, sowie andere noch immer namenlose Pilgergesichter. Txus
und viele andere schlafen noch. Die heutige Etappe beläuft sich auf mehr als 25
Kilometer und ich hoffe inständig, dass die ersten drei Tage wirklich die
anstrengendsten waren, und es ab jetzt nur noch besser werden kann. Das Meer
verlässt mich. Aber dafür erweicht mich das Himmelsnass. Heute will ich bis zum
Kloster von Zenaruzza laufen und dort hoffentlich noch einmal auf Txus treffen,
der nicht ganz so viel Zeit hat, um bis nach Santiago de Compostela zu
gelangen. Daraus wird nur nichts werden.
So einiges an Höhenmetern gilt es heute zu überwinden. Da
ist das „¡aupa!“, die baskische Variante des „¡ánimo!“ (zu Deutsch ein animierendes
“Kopf hoch!“ oder „Los geht’s!“) immer willkommen. Teils rutschige und
schlammige Waldwege erschweren den Aufstieg und machen den Abstieg fast
unmöglich. Rauf und runter. Runter und rauf. Nasse Teerstraßen und kein
Dörfchen weit und breit. Vereinzelte Gehöfte, das klägliche Krächzen
durchnässter Hähne, Pferde drängen sich in ihrem Unterstand zusammen. Eine
kurze Rast an einem verschlossenen Restaurant, immerhin gibt es ein Vordach
und ein paar Bänke. Eine kurze Regenpause deutet sich an, doch der Schein währt
nicht lange. In steilen Kurven schleicht der glitschige Betonboden sich den
Wald empor, immer weiter nach oben, selbst die baskischen Mountainbike-Fahrer
sind kaum schneller als ich mit meinen zwei durchlauchten Beinen.
Ein
Waldstück, das anders ist als alle anderen. Der Duft kommt mir bekannt vor, die
Stämme dünn und hochgewachsen. Eukalyptus. An was das erinnert? Koalabären?
Nein, ein ausgiebiger Saunagang. Die Luftfeuchtigkeit stimmt der eines Aufgusses überein, doch die Temperatur weicht leider stark ab. Und just in diesem
Waldstück kommt mir ein älterer Herr in langer Kutte entgegen, hinter ihm
trottet ein Esel daher. Verwundert sehe ich mich noch einmal nach den beiden
seltsamen Gestalten um und entdecke die Jakobsmuschel. Pilger. Auf dem Rückweg.
Meine Regenjacke klebt an meinen Armen, das T-Shirt trieft
und selbst die Unterwäsche ist klamm. Noch liegen etliche Kilometer vor mir.
Doch dort: ein Unterschlupf. Und ich bin nicht alleine. Eng aneinander
gekuschelt versuchen wir uns zu wärmen. Vera, Montse, Gabriel, das immerfort
streitende italienische Pärchen, der durchtrainierte und nächtlich zum Schnarchkonzert ladende
Altherrenverein, sowie eine weitere Deutsche. Aus dem Nieselregen ist mittlerweile eine
handfeste Duschorgie geworden. Gabriel, der Wanderstöckedieb, bietet mir pan de higo (Feigenbrot) an, besser als
jeder Müsliriegel.
Wir kommen ins Gespräch, er zieht das Tempo an und mich mit.
Plötzlich staune ich, dass mir meine Blasen gleichgültig sind, die schweren,
schmerzenden Beine. Wir laufen und laufen, springen schon fast durch die
Pfützen und Rinnsale, die sich vom vielen Regen gebildet haben. Der Weg wird
breiter, verwandelt sich in eine Straße. Mein Mitpilger zeigt mir das
Zick-Zack-Laufen beim Abstieg, dadurch bürde ich mir zwar ein paar zusätzliche
Kilometer auf, doch meine Knie danken es mir. So langsam lässt der Regen nach,
wie auch die Lust am Laufen (wenn sie denn jemals da war).
Die weitere
Deutsche, die sich als Linda entpuppt, stößt auf uns. Eine Straßenkreuzung. Die
geteerte Variante bis nach Markina-Xemein: 1,2 Kilometer. Die offizielle
Jakobswegsroute: 3,0 Kilometer. Mahnend schaut uns Gabriel an, getreu dem Motto
„Sin dolor no hay gloria.“ (Ohne Schmerz kein Himmelreich). Wir geben nach. Der
Boden unter uns auch. Auf einer Lehmspur schlittern wir gen Tal. Mit jedem
Schritt wird die Lehmschicht unter den so oder so schon schweren Wanderstiefeln
dicker. Dicker und dicker, schwerer und schwerer. Wie auf Plateausohlen, die
mindestens zehn Kilo wiegen, stolpere ich voran. Endlich ein Stück Asphalt.
Mehr schlecht als recht lässt sich die ockerfarbene Masse abstreifen.
Das
Kloster werde ich heute sicher nicht mehr erreichen. Zum neuen Ziel wird
Markina-Xemein erklärt. Erste Anzeichen der Kleinstadt. Kurz nach dem
Ortseingang steht eine kleine sechseckige Kapelle, die Ermita de San Miguel de
Arretxinaga. In meiner Trance wäre ich wohl daran vorbei gelaufen, doch Gabriel
hält uns dazu an, einen Blick hinein zu werfen. Drei gewaltige Felsen stützen
sich gegenseitig, im Hohlraum zwischen ihnen der Erzengel Michael.
Die Herberge befindet sich im Konvent. Der hospitalero ist
glücklicherweise vor Ort, wir stellen unsere nassen Rucksäcke ab und müssen
dann noch einmal hinaus, da die Unterkünfte im Baskenland nie vor 15 Uhr ihre
Tore öffnen. Ein heißer Kaffee wärmt Linda und mich, Gabriel verlangt es nach
Deftigem und schließt sich einigen Pilgern an, denen es ähnlich geht. Der Ort
ist erfüllt vom sonntäglichen Kneipengeschwätz der Spanier. Pünktlich um drei
sind wir zurück, ergattern jede eines der Betten. Meinen Pilgerpass bin ich
jedoch erst einmal los. Er wird mir mit spitzen Fingern vom hospitalero
abgenommen. Nein, ich habe nichts pilgerwidriges angestellt. Er ist nass und
läuft Gefahr, auseinander zu fallen. Nach einer warmen Dusche und einer Waschmaschinenwäsche
kuscheln wir uns in die warmen Decken. Gabriel hat sich leider etwas verspätet
und die Herberge ist bereits überfüllt, er kommt in einer kleinen
Privatherberge unter. Víctor ist natürlich auch wieder dabei.
Abends schmeißen Linda, Pascal (ein weiterer Deutscher – so
langsam mehren sich die Begegnungen mit Landsmännern und -frauen, obwohl ich
versuchen werde, eher Anschluss an die spanischsprachige Kultur zu finden) und
ich unsere Essensreste zusammen und basteln uns ein einfaches Pilgermahl.
Pascal will seinen Joghurt loswerden, es stellt sich heraus, dass es sich um
Ziegenmilchjoghurt handelt. Immer mal was Neues. Und dann, das Wetter hat sich
gebessert, zieht es uns zu den geselligen Eiheimischen. In der einer Bar im
Ortskern stoßen wir an, auf einen zwar anstrengenden Tag, der doch letztendlich
gut ausgegangen ist. Aus einem Glas Wein werden zwei, werden drei, werden vier.
Kurz bevor die Herberge schließt, stehlen wir uns hinein. Zurecht finden müssen
wir uns im Dunkeln, da das Licht mit den sich schließenden Türen ausgeschaltet
wird.
Haha das missglückte Ziegenmilchjoghurt-Experiment hatte ich verdrängt, die Gläser Wein mit euch nicht :-)
AntwortenLöschenso schlimm war der joghurt doch gar nicht ;-)
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