Gestern Abend habe ich einen weiteren Deutschen kennen
gelernt. Heinz. Allerdings nur aus Erzählungen. Heinz weiß genau, wie viel sein
Gepäck wiegt; sein Handtuch, seine Hose und seine Kondome. Zum Frühstück beim
Bäcker um die Ecke treffe ich ihn dann in Person. Wie auch Alexander. Es sind
doch mehr Deutsche als gedacht unterwegs.
Nach tortilla, Orangensaft und dem
ersten Kaffee seit Tagen, laufe ich zusammen mit Linda und Pascal los. Als wir
durch das Dörfchen Bolibar pilgern, kommt die Sonne hinter den Wolken hervor.
Der Anstieg zum Kloster von Zenaruzza ist gar nicht mal so beschwerlich. Die
Blasen am Fuß ignoriere ich mittlerweile. Die alten Gemäuer empfangen uns, aus
dem Innern klingen dumpf Gesänge an. Die Tür zur Kapelle öffnet sich, der
Hausherr tritt heraus, mit ihm Eva, eine weitere Deutsche. Ein Stempel im
wieder getrockneten Pilgerpass. Und
weiter.
Zwischendurch streuen sich schwarze Schafe in Herden, Eselfohlen werden
bemuttert und Schattenspiele veranstaltet. An einem Flusslauf entlang zieht
sich der Weg. Ein junger Pole, Paweł, verteilt Schokolade an einer Brücke. Die Füße
schmerzen, der Weg wird mit jedem Schritt länger und das Ziel, Gernika,
entfernt sich immer mehr. Pascal eilt an uns vorbei, Linda und ich brüten in
der Hitze. Nicht nur Blick auf die Uhr verrät uns, dass wir in der schlimmsten
Nachmittagshitze laufen. Der letzte Anstieg nach Marmitz. Dann bergab. Doch
Gernika liegt weit, weit weg.
Eine Pause an einem Bushäuschen. Wir sammeln
unsere letzten Kräfte zusammen und kriechen die Schnellstraße ins Stadtzentrum.
Auf den letzten Kilometern überholt uns ein älterer Spanier auf seinem Rad,
wünscht uns einen „¡buen camino!“, wir lächeln ihm müde nach. Kurz darauf kommt er
zurück, rollt neben uns entlang, unterhält sich mit uns auf Spanisch, Englisch und
Deutsch, begleitet uns bis zur Touristeninformation. Denn Gernika bietet keine
Pilgerherberge. Fast alle Zimmer in der Stadt sind bereits belegt. Mit etwas
Glück erhalten wir zwei Zimmer in einer Pension. Laut Auskunft handele es sich
um Zweibettzimmer á 35 Euro pro Nacht. Das war es wohl einmal. Die
Pensionsbesitzer sind ganz gerissen und verlangen einen Pilgerpreis von nur 20
Euro – pro Bett. Und das steht im ehemaligen Zweibettzimmer, das nun
umfunktioniert wurde – zum Vierbettzimmer. Zumindest kennen wir unsere
Mitschläfer bereits: Víctor und Aitor. Dusche, Wäsche waschen, Nahrungssuche.
Pilgerroutine.
Das Städtchen ist zwar schön, doch viel können wir ihm nicht abgewinnen.
Wir irren umher, zwischen der Picasso-Statue und dem Ende der Fußgängerzone.
Das einzige Restaurant, in dem ein Pilgermenü feil geboten wird, gehört unserer
Pension an. Nie im Leben. Die erhalten schon genug von unserem geringen
Pilgerkapital. Da sitzt Alexander grummelnd auf einer Bank, er hat gerade einen
Döner verspeist und er wohne für 45 Euro in einem Hotelzimmer, ganz alleine. Wir
haben noch immer Hunger. Kurzerhand quatsche ich zwei hiesige Spanier an, die
uns prompt ein Restaurant empfehlen. Das liegt genau unterhalb von der
Übernachtungsstätte Alexanders. Die Karte lockt. Als wir uns setzen wollen,
entdeckt uns eine Horde Deutscher. Nun gut, setzen wir uns mit an den Tisch. Warmes
Brot, frisch aus dem Ofen. Wein. Reis mit Muscheln, Gambas und bestem Olivenöl.
Frittierte Anschovis an Paprikasoße. Und zum Dessert ein Flan in leicht
bitterer Karamellsoße bzw. die Hälfte davon und die andere Hälfte von Lindas
Torta de Santiago, einem Mandelkuchen. Bei so gutem Essen kann uns auch die
deutsche Nörgelei und Prahlerei nichts anhaben. Schlaftrunken torkeln wir durch
das nächtliche Gernika. Plötzlich ist es schon kurz vor Mitternacht.
Danke für die Erinnerung an diesen Tag mit vielen Höhen und Tiefen (und damit sind nicht nur die Höhenmeter gemeint) aber mit Happy End auch für mich. Unterkunftsmässig der frustrierendste Tag des Caminos, abends vor der Jugendherberge aber dann noch eine gemütliche Runde mit Gavin, Freddy und Vera, die alles andere schnell vergessen ließ.
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